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Christa Wolf hat Literatur immer als ideologiekritisches Medium betrachtet, um Erinnerungskultur und Erinnerungsmythen zu hinterfragen. Dazu muss man mit den Gespenstern sprechen. Dies geschieht durch die Schaffung von Texten, die mit den Grenzen der Sprache experimentieren. Die vorliegende Studie geht davon aus, dass der Roman Leibhaftig der ehrlichste und zugleich erfolgreichste Versuch der Autorin in dieser Richtung ist, ein erzählerisches Experiment, das darauf abzielt, "die Grenzen des Sagbaren zu überschreiten". Die Erzählung ist ein multiperspektivisches polyvokales literarisches Netzwerk. Spielerisch experimentiert der Autor in zwei Richtungen: mit verschiedenen zeitlichen Perspektiven und mit verschiedenen Formen von Erzähler und Erzählperspektive. Die Struktur der Erzählung ist multitemporal. Die Ebene einer extradiegetisch-homodiegetischen Erzählinstanz in der Gegenwart wird mit Erinnerungen aus rund sechzig Jahren Vergangenheit sowie aus der gesamten Menschheitsgeschichte verwoben. Außerdem wird die Geschichte in zwei Erzählstimmen erzählt, sowohl in der ersten als auch in der dritten Person, wobei der Wechsel oft mitten im Satz stattfindet. Das Ergebnis ist ein offener Text, der sich nicht scheut, die Wunde offen zu lassen, mit den eigenen wie mit den kollektiven Phantomen abzurechnen.