Theater als bürgerlicher Totentanz? Erinnernde Vergangenheitsbewältigung in Rolf Hochhuths Der Stellvertreter und Thomas Bernhards Vor dem Ruhestand

Citation:

Theater als bürgerlicher Totentanz? Erinnernde Vergangenheitsbewältigung in Rolf Hochhuths Der Stellvertreter und Thomas Bernhards Vor dem Ruhestand. In: Szybisty, Tomasz & Godlewicz-Adamiec J (H) Literatur und Politik . Warszawa: Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego; 2020. pp. 273-288.

Abstract:

Der Zusammenbruch des NS-Regimes signalisierte für die westdeutsche Kunst eine deutliche Distanzierung von Politik. „Der Stellvertreter“ führt einen Wendepunkt herbei und verwandelt das Theater wieder in ein Politikum. Hochhuth richtet den Blick auf die verdrängte Vergangenheit, in dem er am Beispiel des Schweigens der katholischen Kirche während des Holocaust die Frage der individuellen Verantwortung bzw. Schuld untersucht. Auschwitz wird erstmals auf die Bühne gebracht und das Stück löst eine Repolitisierungswelle aus, so dass es mit Recht als Vorläufer des Dokumentartheaters gilt. Auch „Vor dem Ruhestand“ ist politisches Theater par excellence in dem Sinne, dass es Partei ergreift, irritiert, die bestehende Ordnung in Frage stellt. Illusionslos entdeckt Bernhard hinter der Fassade eines bürgerlich-demokratischen Staates das Fortbestehen der nationalsozialistischen Ideologie, nicht nur in Extremfällen, sondern auch in sozialen Strukturen und Gedankenmuster der sozialen Elite. Im Gegensatz zu Hochhuth, der immer noch fest an die Macht des bürgerlichen Individuums glaubt, dient Faschismus Bernhard als Musterbeispiel für die verfallenden bürgerlichen politischen Systeme.