Revolution und Geschichte in Peter Weiss' Marat/Sade und Heiner Müllers Der Auftrag

Citation:

Revolution und Geschichte in Peter Weiss' Marat/Sade und Heiner Müllers Der Auftrag. In: Cañadas García,Teresa; Gómez García, Carmen und Maeding, Linda: Revolution! Deutschsprachige Kulturen im Umbruch 1918–1968. Berlin: Erich Schmidt Verlag; 2023. pp. 173-184.

Abstract:

Die Französische Revolution wurde als Epochenwende in der europäischen Geschichte gefeiert. Doch bald stellte sich heraus, dass die Revolution keine Institutionalisierung einer neuen, humaneren Gesellschaft darstellte, sondern einen bloßen Herrschaftsabtausch. In Der Auftrag führt Heiner Müller ein „Gespräch mit den Toten”.  Das Stück thematisiert das Verhältnis von Individuum und Geschichte. Seine Figuren sind zwischen den Polen „Verrat“ und Erfüllung des historischen „Auftrags“ angesiedelt. Die Revolution wird als gescheitert deklariert. Der Versuch, die Geschichte revolutionär zu verändern, beseitigte nicht die alte, gewalttätige Ordnung, sondern ließ sie unter einer Maske wieder entstehen. Dieses kulturphilosophische Erklärungsmodell für das Scheitern der Revolution mündet in eine Fundamentalkritik an der europäisch-westlichen Zivilisation, in eine Nekrologie auf das bürgerliche, aber auch das sozialistische Revolutionsmodell. Müller ist jedoch kein Geschichtspessimist. Revolution ist zwingende Aufgabe jeder Generation, aber ihr Ort wird außergeschichtlich, in fernster Zukunft und im „ausgeschlossenen Anderen“ situiert. In Marat/Sade führt Peter Weiss einen ähnlichen Dialog mit den Toten. De Sade und Marat führen eine Art Totengespräch miteinander, aber auch mit dem Autor und dem Zuschauer. Im Sinne eines Spiels im Spiel vergleicht Weiss die historische Situation 1793, 1808 und 1964. Weiss’ de Sade ist eine Nietzschische Figur, während Marat eine idealistische Figur darstellt, die auf soziale Veränderung abzielt.  Das Stück thematisiert die Extremen „Revolte“ und „Bekenntnis zur Verlorenheit“ als die beiden (nicht lebbaren) Alternativen, zwischen denen das moderne Individuum zu wählen hat. 

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